Alex
Why is the album called Amnesie? Maybe because you forget yourself in the ecstasy of these opioid-like sounds or everything around you turns pale. Definitely it is addictive.
Favorite track: ZimtZucker.
Es wäre verlockend einfach, diesen Text mit einem solchen oder ähnlichen Satz zu beginnen: „Hier geht es um die dringliche Frage, was es bedeutet, in Zeiten wie diesen Mensch zu sein.“ Für ein solch pathetisch-vereinfachtes Feuilleton-Narrativ wäre die Berliner Band, um deren Debütalbum es im Folgenden gehen wird, vermutlich nicht zu haben. Und doch werden große Fässer angestochen. Es fließen Themengespenster heraus: Einsamkeit, Zweisamkeit, Vielheit, Sinnsuche, Verzweiflung, Traurigkeit, Ewigkeit, Vergessenheit, Wahn, Schmerz und selbstredend: Liebe. Also vielleicht am Ende doch „Trying to be Mensch“?
Mit dem Album »Amnesie« nimmt es die Gruppe Yoga auf jeden Fall persönlich. Vielleicht auch weil es in eine so verstörend ver-rückte Zeit hineingeboren wird. Wo sich vieles verschiebt, so weit auseinander driftet, dass der Boden, auf dem wir stehen, rissig wird. In der die
Vielstimmigkeit und die Schönheit der Dissonanz in den Echokammern zu verhallen droht, in der Mehrdeutigkeit beseitigt und Normalität beschworen werden. Dass Yoga sich dem Diktat der Eindeutigkeit und dem Zwang des Identischen schon immer zu entziehen versuchten, wird am musikalischen und textlichen Material, aber auch im Blick auf Geschichte und Auftreten der Band deutlich. Den Rätselcharakter, den der Philosoph Adorno als ein zentrales Moment von Kunst im Allgemeinen ausmachte, hat diese Musikgruppe schon lange verinnerlicht. Begonnen bei dem gänzlich suchmaschinenungeeigneten Bandnamen und den zum Teil kryptischmetaphorischen Texten, die etliche Bedeutungsräume öffnen, nur um in der nächsten Zeile schon wieder alle Klarheiten zu beseitigen.
Dieses Spiel von Absenz und Präsenz bestimmt nicht nur ihren Umgang mit Sinn, sondern auch mit Öffentlichkeit. Gerade dann, wenn das mediale Interesse um Yoga wuchs, wie z.B. 2015 nach der Veröffentlichung der EP „Azur“, die von ausschlaggebenden Organen wie der SPEX wohlwollend aufgenommen wurden, hüllte sich das Trio wieder in seinen Unsichtbarkeitsmantel ein. Erst 4 Jahre später gibt es mit der EP „Projektil“ ein weiteres Lebenszeichen. Wiederum lasen sich die Kritiken in der Fachpresse hoffnungsvoll; die Tageszeitung taz bekam beim Hören der vier Songs „Lust auf mehr“ und das Ox Fanzine attestierte der Band gar ein Potential „Hits zu schreiben“, die „womöglich auch ohne weiteres eine Band wie DIE NERVEN in die Schranken weisen könnten“. Immer wieder tauchten Vergleiche zu Genregrößen wie MUTTER, STERNE oder TOCOTRONIC auf. Andere sahen in Yoga so etwas wie die deutschsprachige Inkarnation von MY BLOODY VALENTINE oder fühlten sich an die PIXIES erinnert. Spätestens jetzt war vielerorts das Gefühl da: Dieses Mal werden sie bleiben! Jetzt kommt es, das Album, und der große Sturm auf die Torburg des deutschen Indie-Rocks wird beginnen.
Und tatsächlich spielte die Band im Herbst 2019 ein Album ein. An den Aufnahme- und Produktions-Reglern sitzt Alexander Günther, der mit eigenen Bands wie MOLDE und MELLIE Indie-Nerdtum atmet und sich durch die Arbeiten mit Bands wie DIE WÄNDE auch als Produzent bereits einen Namen gemacht hatte. Für das Mastering konnte die Slowcore- und Shoegaze-Koryphäe Jaike Stambach (THE HISTORY OF COLOUR TV, WHERE YOU ARE) gewonnen werden. Mit dieser Wahl haben Yoga Geschmack und Gefühl bewiesen. Alles passte zusammen, das Album war eingespielt und produziert – es hätte losgehen können. Wer die Bandhistorie bis dahin verfolgt hat, wird wenig überrascht sein, dass alles ganz anders kam. Die (Band-)Geschichte nahm eine abermalige Wendung. Doch dieses Mal lag es nicht an der Musikgruppe selbst; ein externes Ereignis sollte dafür sorgen, dass nicht nur die Band Yoga sich für weitere 1,5 Jahre in die Versenkung begab, sondern mit ihr eine ganze Welt.
Wovon hier die Rede ist, dürfte klar sein. In der Pandemie ruhte das Album dann auf den digitalen Datenträgern der Beteiligten und reifte, bekam auf einmal eine ungeahnte Aktualität. Es spricht beinahe luzide von einem Fieber, das zu fühlen ist, wenn diejenigen, die mehr als andere zu verstehen glauben, sich die Maske vom Gesicht reißen lassen (der Song „Weiße Rehe“), von einer großen Amnesie, die uns alle zu befallen scheint und so vieles in Vergessenheit geraten lässt („Amnesie“), von den Sternchen am Sinngebungshimmel, die uns mit zweifelhaften Absichten durch die neue Zeit führen wollen („Dein Guru“), von einer existentiellen Traurigkeit und Müdigkeit, die Revolution als Therapieform für sich entdeckt („Tristessa“), von der Tendenz zur völligen Abkehr von allem und zur abgründigen Zurückgezogenheit („Dead Sea Salt“), von Geisterstädten und von vielem mehr, was sich so unheimlich passend auf die gegenwärtige Zeit münzen ließe und doch aus einer ganz anderen stammt. Die Songs auf »Amnesie«, die zum Teil schon seit mehreren Jahren fester Bestandteil des Yoga-Live-Sets sind, legte Alex Roth, der Haupt-Songschreiber, Gitarrist und Sänger der Band, bereits in den Jahren 2014 bis 2018 seinen Bandkollegen Markus Kastrop (Bass) und Elias Hock (Schlagzeug) zum gemeinsamen Arrangement vor.
Jetzt erscheint dieses Album, das vor allem deshalb so seltsam gut in seine Gegenwart hineinpasst, weil seine Lieder ihr nicht angehörig sind. Sie kommen aus einer Zeit, aus der sie herausfielen oder vielmehr: aus der sie sich herausfallen ließen. Vielleicht resultiert das Zeitgemäße des Albums genau aus dieser Erfahrung des Unzeitgemäßen.
credits
released September 16, 2021
Yoga are Alex Roth, Markus Kastrop & Elias Hock
Recorded in 2019 in Berlin-Lichtenberg, -Steglitz & -Neukölln
Recording & Mix by Alexander Günther / Studio Tutti
Master by Jaike Stambach
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